Die wissenschaftlichen Durchbrüche
des Jahres 2018
Das Fachmagazin „Science“ hat wie in jedem Jahr zehn
wissenschaftliche Entdeckungen und Errungenschaften zu den
Highlights des Jahres gekürt. An erster Stelle sehen sie die
Entschlüsselung der Embryonalentwicklung – Zelle für Zelle. Denn
dank moderner Sequenzierungstechnik und einer Kombination dreier
Methoden ist es nun möglich, genau mitzuverfolgen, wie aus der noch
undifferenzierten befruchtete Eizelle nach und nach alle Gewebe und
Organe eines Organismus werden. Als Highlights des Jahres
präsentiert „Science“ zudem einen eiszeitlichen Asteroideneinschlag
auf Grönland, ein Steinzeitkind mit Neandertaler-Mutter und Denisova-
Vater und Erkenntnisse über die ersten Tiere unseres Planeten.
In den vergangenen Jahren gehörten dazu die ersten Nachweise einer
Neutronenstern-Kollision, der Nachweis von Gravitationswellen, aber
auch die Genschere Crispr/Cas9.
Vom befruchteten Ei zum kompletten Organismus
In diesem Jahr steht ein Meilenstein in der Erforschung der Zellen und
der Entwicklungsbiologie ganz oben auf der Liste – und ein Rätsel, das
schon antike Gelehrte beschäftigte: Wie entsteht aus der befruchteten
Eizelle der ganze komplizierte Körperapparat eines ausgewachsenen
Lebewesens? Und was kontrolliert diese Entwicklung? Lange entzog
sich dieses Mysterium auf Zellebene jeder Beobachtung, doch mit der
Entwicklung moderner Analysetechnologien hat sich das geändert.
Durch eine Kombination dreier Methoden ist es Wissenschaftlern
inzwischen möglich, die Embryonalentwicklung eines Organismus Zelle
für Zelle mitzuverfolgen. „Diese Technologien haben außergewöhnliche
Filme hervorgebracht, die zeigen, wie einzelne Zellen zu den komplexen
Geweben und Organen eines Tieres heranwachsen“, sagt Tim
Appenzeller, leitender Redakteur von Science News.
Möglich wird dieser Durchbruch durch Analysemethoden, die zeigen,
welche Gene zu welcher Zeit in den Zellen an- oder abgeschaltet
werden. „Die Fähigkeit, Tausende von Einzelzellen zu isolieren und das
genetische Material in jeder von ihnen zu sequenzieren, liefert uns
einen Schnappschuss davon, welche RNA in diesem Moment in jeder
Zelle produziert wird“, erklärt „Science“-Autorin Elizabeth Pennisi.
„Dadurch können Forscher direkt sehen, welche Gene gerade aktiv
sind.“ Durch die Kombination dieser als „single-cell RNA-seq“
bezeichneten Methode mit Technologien, durch die einzelne Zellen im
Embryo markiert und verfolgt werden können, können Forscher quasi
live beobachten, wie sich die Zellen zu Geweben zusammenfinden.
Wissenschaftler haben so in diesem Jahr bereits die
Embryonalentwicklung von Plattwürmern, einem Fisch, einem Frosch
und weiteren Tieren entschlüsselt.
Krater, Neutrinos und ein urzeitliches Mischlingskind
Der Einschlagskrater am Hiawatha-Gletscher hat einen Durchmesser
von 31 Kilometern. (Bild: The Natural History Museum of Denmark)
Zu den weiteren Highlights des Jahres gehören auch zwei „himmlische“
Ereignisse: Das erste ist die Entdeckung eines 31 Kilometer großen
Einschlagskraters unter dem Eis Grönlands. Dieser Krater muss von
einem rund einen Kilometer großen Brocken vor geologisch nicht allzu
langer Zeit geschaffen worden sein – der enorme Einschlag könnte
während der letzten Eiszeit passiert sein, mutmaßen die Forscher. Das
bedeutet, dass auch unsere Vorfahren die Folgen dieser
Einschlagskatastrophe erlebt haben. Das zweite „himmlische“ Ereignis
ist eng mit dem Neutrino-Detektor IceCube am Südpol verknüpft. Denn
mit seiner Hilfe und mit Teleskopen weltweit gelang es
Wissenschaftlern erstmals, energiereiche kosmische Neutrinos zu ihrer
Quelle zurückzuverfolgen. Demnach entstanden diese fast masselosen
Elementarteilchen in einem rund vier Milliarden Lichtjahre entfernten
Blazar – einem aktiven Schwarzen Loch im Herzen einer Galaxie.
Eine weitere spannende Entdeckung des Jahres 2018 geht weit zurück
in die Menschheitsgeschichte. Denn Genanalysen der fossilen
Überreste eines vor rund 50.000 gestorbenen Mädchens enthüllten
Überraschendes zu ihrer Herkunft: Das in Sibirien gefundene Urzeit-
Kind war die die Tochter einer Neandertalerin und eines Denisova-
Mannes, wie die DNA-Analysen belegten. Dies lieferte erneut die
Bestätigung dafür, dass sich die verschiedenen Menschenarten der
Gattung Homo immer wieder untereinander kreuzten und
Mischformen hervorbrachten.
Ganz praktischen Nutzen hatten die DNA-Analysen dagegen bei einem
weiteren Highlight: Dank einer umfangreichen DNA-Datenbank in den
USA konnten Forscher einen alten Kriminalfall lösen: Sie überführten
einen Serienvergewaltiger der 1970er und 1980er Jahre anhand der
DNA-Profile mehrere Verwandter des Täters.
Das älteste Tier, Proteintropfen und #MeToo
Dickinsonia-Fossil vom Weißen Meer (Foto: Ilya Bobrovskiy/ Australian National
University)
Zurück an den Ursprung der irdischen Tierwelt geht dagegen ein
Durchbruch in der Paläontologie. Auch hier ermöglichen moderne
Analysemethoden inzwischen ganz neue Einblicke in die Lebenswelt,
aber auch den Stoffwechsel früher Organismen. Im Herbst 2018
identifizierten Forscher mit ihrer Hilfe das bisher älteste mehrzellige
Tier der Welt. Denn in dem 558 Millionen Jahre alten Fossil aus
Russland wiesen sie Relikte typisch tierischer Fettmoleküle nach. Erst
dadurch gelang es ihnen, die wahre Natur dieses Rätselwesens zu
enthüllen. Ebenfalls um zelluläre Prozesse geht es bei einem weiteren
Highlight: Wissenschaftler haben entdeckt, dass Proteine während des
Ablesens der DNA eine Art Tropfen bilden. Diese bilden gemeinsam mit
der RNA eine ganz neue Form zellulärer Organisation – und spielen
auch eine wichtige Rolle für dem Umgang der Zelle mit Abfällen und
Giftstoffen.
Abgerundet wird der Reigen der Durchbrüche des Jahres mit der
Zulassung eines Arzneimittels, das eine Erbkrankheit mittels RNA-
Blockade behandelt, sowie einer neuen Methode, um Kristallstrukturen
zu entschlüsseln. Als letztes prägendes Ereignis nennen die „Science“-
Editoren die #MeToo-Kampagne. Denn sie habe auch in der Welt der
Wissenschaft in diesem Jahr für einige Enthüllungen, aber auch für
Umdenken und Erneuerung gesorgt.
Quelle: Science
20. Dezember 2018
© wissenschaft.de - Nadja Podbrega
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